Peru Maccu Piccu zerstörte Welt zwischen Kultstätte und Tourinepp

Maccu Piccu – Zerstörte Welt zwischen Kultstätte und Touri-Nepp

Ein Reisebericht aus Südamerika - Peru. Von Thomas Wilken.

Die meisten Inkaruinen, welche ich vorher zu Gesicht bekommen habe haben mich ziemlich enttäuscht. Vor allem um Inkapirca in Ecuador wird viel Aufhebens gemacht, aber allzu berauschend waren die Ruinen dann nicht. Sillustani am Titicacasee wird ebenfalls als bedeutender Ruinenkomplex aus der Inkazeit dargestellt, bis auf wenige kleine Steinmännchen gibt es dort aber kaum etwas zu sehen, am interessantesten war noch das leicht irisch anmutende Landschaftsbild mit seinen Grünflächen und Seen. So ist es immer, wenn mehr als drei Steine aufeinander getürmt sind: Gewinnsucht und übertriebener lokaler Geltungsdrang verleiten dazu, diese als bedeutende Inkadenkmäler zu propagieren

Wenn es also überhaupt einen sehenswerten Ruinenkomplex aus der Inkazeit gibt, dürfte das Maccu Piccu sein, dachte ich mir. Trotzdem wollte ich diesen Ort eigentlich nicht besuchen, da er als sehr überlaufen gilt und auf jedem vorhandenen Zentimeter Boden versucht wird, die zahlreichen Touristen um ihr Geld zu erleichtern.

Mit beiden Einschätzungen hatte ich übrigens Recht. Maccu Piccu ist mehr als absolut sehenswert. Doch auch vieles Erschreckendes gibt es dort zu sehen.

Warum ich letztendlich doch hingefahren bin ? Aus mehreren zuverlässigen Quellen wurde mir nahegelegt das es sich lohne diesen großartigen Ort doch zu besuchen, außerdem fand ich Möglichkeiten dem befürchteten Rummel zumindest weitgehend zu entgehen. Auch meine finanziellen Auslagen konnte ich durch günstige Planung in einem doch sehr erträglichen Rahmen halten.

Das Teuerste am kompletten Maccupiccubesuch ist die Zugfahrt von Cusco nach Aguas Calientes, die in sämtlichen Reisebüros Cuscos als unvermeidlich dargestellt wird. Hin und zurück sind dafür je nach Zug und Saison 58 bis 86 Euro hinzulegen, dazu kommt ein kompliziertes Buchungsverfahren, das einem die Reiseveranstalter natürlich abnehmen, aber dem Individualreisenden durchaus Kopfzerbrechen bereiten kann.

Nun gibt es aber noch eine bessere Möglichkeit, die man sich aber sehr mühsam erfragen muss, und auf die ich ohne meinen sehr guten Reiseführer (ReiseKnowHow – Verlag) wohl auch nicht gekommen wäre.

Statt den völlig überteuerten Zug nach Aguas Calientes (warmes Wasser, welch kreativer Name für einen Ort) bin ich nun mit dem Bus durch das heilige Tal der Inka nach Ollanta gefahren. Auch diese Strecke ist mehr als lohnenswert, führt sie doch durch sehr grüne, immernoch landwirtschaftlich geprägte Gegenden, von wo aus früher ein grosser Teil des Inkareiches versorgt wurde. Ollanta selbst hat ebenfalls recht eindrucksvolle Ruinen zu bieten, nach Maccu Piccu der interessanteste Ruinenkomplex, welchen ich bisher sah. Da der Zug nach Aguas Calientes erst um 19,45 Uhr startet blieb mir zudem Zeit den Ruinenberg zu besteigen und zusätzlich eine kleine Wanderung in eines der umliegenden grünen Täler zu unternehmen. Nach diesem sehr erfüllten Tag und einem ausgiebigen Abendessen auf dem lebendigen Marktplatz von Ollanta konnte ich dann für 12 Dollar (man vergleiche) mit dem günstigsten Touristenzug nach Aguas Calientes fahren und mir dort in aller Ruhe ein Quatier suchen. Mehr war dann auch nicht mehr zu tun, denn eine Besichtigung ist Aguas Calientes nicht wert. Dieser Inbegriff eines Retourtenortes besteht praktisch nur aus aneinander gereihten Hotels und Restaurants. Unwirklich und überzogen wirken seine bunten Lichter inmitten des Dschungels. Trotzdem ist der Ort extrem gut besucht, bildet er doch den einzigen Ausgangspunkt zu dem Touristenziel überhaupt in Peru, davon lässt es sich hier recht gut leben, auch wenn die Mehrzahl der Besucher Maccu Piccu als Tagestour bucht und auf eine Übernachtung im Urwald verzichtet. Gerade diese ist aber mehr als empfehlenswert, kann man doch vom Hotel aus Morgens direkt nach Maccu Piccu laufen. Dies hat neben der weit größeren Zeitreserve vor allem den Vorteil, das man sehr früh starten und somit weit vor den zu erwartenden Touristenströmen am Berg sein kann. Zudem gibt es keine bessere Tageszeit um die immer noch einzigartige Stimmung dieses Ortes in sich aufzunehmen, und zwar während des gesamten Weges, also nicht nur an den Ruinen selbst.

Morgens um sechs war das ganze Tal noch in eine geheimnisvolle Stille eingehüllt, keine lärmenden Touristenströme um mich herum. Nur der Rio Apurimac meldet sich mit einem gleichmäßigen Rauschen zu Wort, dazu trugen die steilen, mit dichtem Urwald bewachsenen Berghänge das ihrige zu dieser eigentümlichen und etwas geheimnisvollen Stimmung bei, man fühlt sich glatt zurückversetzt in längst vergangene Zeiten. Nebel verhüllt die Berge - als versuchten die Inka ein zweites Mal (erfolglos) ihre Heiligtümer vor den weissen Eroberern zu verbergen.

Nach einer etwas wackligen Hängebrücke über den Rio Apurimac, welcher fast die gesamte Feste in einer Art Halbkreis umfließt und nahezu uneinnehmbar machte, führt nun ein alter Inkapfad direkt in den dichtbewachsenen Bergurwald. Auf steilen, steinernen Stufen geht es nun aufwärts, kein auf Menschen hindeutender Laut ist zu hören (na ja hin und wieder mal Busgeräusche). Diese werden aber durch zahlreiche kaum identifizierbare Urwaldgeräusche übertönt. Ganz allein steige ich nun der alten Inkastadt entgegen, man kann sich lebhaft vorstellen gerade wirklich einer versteckten Stadt im Dschungel nachzuspüren. Doch schon nach einer bis anderthalb recht anstrengenden Stunden Aufstiegs holt mich die Realität auf recht grausame Weise zu sich zurück. Beim Verlassen des Waldes stehe ich direkt vor dem nun schon recht gut besuchten Eingang von Maccu Piccu und schaue direkt in die blitzenden Kameras eines frisch eingetroffenen Rudels Japaner. 

Auch am Eingang selbst wenig erfreuliches, neben den mir schon vorher bekannten 20 Dollar Eintritt (10 mit internationalem Studentenausweis) dürfen angeblich keine Rucksäcke, Getränke und Nahrungsmittel mit hinein genommen werden. Ich frage mich wie das gehen soll, ich möchte mich immerhin einige Stunden hier aufhalten, Fotos machen und brauche vor allem Kleidung zum wechseln, da ich einen der beiden Berge zu besteigen gedenke. Eine Regenjacke könnte ebenfalls von Nutzen sein. Also ignoriere ich das unsinnige Verbot und betrete unbehelligt mit meinem Rucksack die historische Stätte. Zum Glück werde ich auch nicht weiter belästigt und kann jedem nur empfehlen es ähnlich zu machen. Vermutlich steckt hinter diesem Verbot der Wunsch alle Besucher zu zwingen in den völlig überteuerten Restaurants oder Imbissbuden um die Anlage herum zu essen. Hier zahlt man schlappe 3 Dollar 50 für einen Hamburger, und das in Peru. Dafür bekomme ich in jedem peruanischen Restaurant außerhalb Maccu Piccus ein komplettes Menü. Hier stimmen die Dimensionen also überhaupt nicht mehr, zudem frage ich mich was die gottverdammte US-Währung hier verloren hat, zahlt man in Peru nicht mit Soles ? Der Grund für dieses Verhalten liegt wohl in der Privatisierung der Anlage vor einigen Jahren. Der neue Besitzer scheint einer dieser extrem reichen Oberschichtperuaner zu sein, die zu den USA aufschauen und alles amerikanische und auch europäische gedankenlos und ohne jegliche Kritik imitieren. Dieses Verhalten lasse ich hier mal unkommentiert, aber hinsichtlich der Geldgier scheinen hier durchaus US-amerikanische Dimensionen erreicht zu sein. Tourismus lässt sich so natürlich nicht gut machen, im Gegenteil es besteht die Gefahr diesem herrlichen Ort durch die Kommerzialisierung  einiges an Attraktivität zu nehmen.

Die Anlagen selbst sind dafür aber umso sehenswerter, gut erhalten und sehr gepflegt, also auch dafür wird das Geld verwendet. Man kann sich wirklich einige Stunden hier aufhalten und die besondere Atmosphäre genießen, was ich auch ausgiebig tue.

Zum Glück ist noch keine Hauptsaison und ich habe den am wenigsten frequentierten Sonntag gewählt, sodass sich selbst der Hauptandrang noch in recht erträglichen Grenzen hält. Da mein Billigtouristenzug erst am nächsten Morgen fährt bin ich zu einer weiteren Übernachtung in Aguas Calientes gezwungen, was mir die Möglichkeit gibt die Bauwerke am späteren Nachmittag fast allein zu bestaunen. Zwischendrin nutze ich die reichlich vorhandene Zeit (in Aguas Calientes will ich nur Essen und schlafen) um den Maccu Piccu Berg (3140 m), den alten Berg, zu besteigen. Er steht dem wesentlich bekannteren Wayna Piccu, dem neuen Berg, gegenüber. Auch hier führt der Weg wieder über alte, steinerne Inkapfade durch nassen und dich bewachsenen Bergurwald. Von einem Peruaner abgesehen, der sich etwas verirrt hatte bin ich während dem kompletten Anstieg vollkommen alleine. Welch ein Kontrast zum stark überlaufenenen Wayna Piccu. Das hektische Treiben im unter mir liegenden Ruinenkomplex lässt sich von diesem Ort absoluter Stille aus perfekt beobachten, ich fühle mich aber momentan eher einer anderen, älteren Welt zugehörig. Die Tiefblicke sind phantastisch, weit unten windet sich in der Sonne glänzend der Rio Apurimac durch die sattgrünen Täler, darüber ragen spitze und steilwandige Berggestalten auf. Leider ist es mit der Fernsicht nicht allzu weit her, der Bergnebel verhindert dies, trägt dafür aber am Stärksten zur einzigartigen Atmosphäre dieses mystischen Ortes bei. Hier erlebe ich diese in ihrer absoluten Ursprünglichkeit, keine Spur von den mit vielen Bussen hinauf gekarrten Touristenströmen. Nur eine überdimensional große peruanische Flagge am Gipfel erinnert noch etwas an die nicht ganz ferne Zivilisation. Aber auch weiter unten sind die Tiefblicke, z.B. auf die sog. Hängenden Gärten der Inka , vom allerfeinsten, also begebe ich mich wider inmitten den bunten Touristenstrom der ehemaligen Inkastadt. Viele hauptamtliche Führer glänzen mit zum großen Teil erfundenen Geschichten und Informationen, in Wirklichkeit ist mangels Überlieferungen kaum etwas über die wirkliche Funktion dieses Bauwerkes bekannt, das Meiste bleibt Spekulation.

Auch für den Rückweg entscheide ich mich die Füße zu gebrauchen , diesmal sind einige weitere Fußgänger mit mir unterwegs und ignorieren wie ich geflissentlich alle (nicht allzu preiswerten) Angebote der allgegenwärtigen Bus- und Taxifahrer. Begleitet werde ich dabei von zwei Hunden undefinierbarer Herkunft die den kompletten Weg nach Aguas Calientes nicht von meiner Seite weichen. Wie soll ich die denn mit ins Flugzeug bekommen und würde Malte nicht eifersüchtig ? Im Retourtenort angekommen machen sich dann aber beide Hunde getrennt auf die schwierige Suche nach etwas Essbarem. Ich habe es da etwas einfacher und bestelle mir in einem der mehr als zahlreichen Restaurants eine Forelle.

Erst am nächsten Tag geht mein Zug, nämlich der mit 12 Dollar einzige wirklich Bezahlbare zurück nach Ollanta. Dazu muss man allerdings um perverse 4,30 Uhr aufstehen, denn nicht genug mit der unchristlichen Abfahrtszeit von 5,45 Uhr muss man auch noch um 5 Uhr an der Station sein um ein Ticket zu kaufen. Am Vorabend ist dies unverständlicherweise nicht möglich, damit sollen wohl möglichst viele Touristen abgeschreckt werden, welche sich dann im Idealfall auf die viel teureren Direktzüge nach Cusco verteilen. Auch mein „Weckservice“ im Hotel hatte versagt (ich hatte ja schon gezahlt), sodass ich nur Dank meines gesunden Misstrauens, einigen Blicken auf die Uhr und etwas Glück nicht einen weiteren Tag in Aguas Calientes verweilen muss.

Von Ollanta aus geht es dann übrigens mit dem Bus für läppische 5 Soles zurück nach Cusco.