Steiniger Weg nach Bolivien
Ein Reisebericht aus Südamerika - Bolivien. Von Thomas Wilken.
Falk, der Berliner Dozent hatte mir erzählt, das er wegen Unruhen nicht nach Bolivien einreisen konnte. Die meisten Strassen seien gesperrt bzw. blockiert gewesen, dazu sei das Risiko für Ausländer zu diesem Zeitpunkt sehr hoch. Diese Information war schon ein kleiner Schock für mich, war doch Bolivien das Land, welches mich in ganz Südamerika am Meisten interessiert und im Voraus fasziniert. Fasziniert vor allem landschaftlich, durch seine vielfältigen Bergregionen und nicht zuletzt den Salar de Uyunie, interessiert hat mich noch mehr als woanders die Kultur, vor allem aber die sozialen Komponenten dieses ärmsten aller Andenstaaten.
Als Alternative überlege ich mir schon mal einen Weg in die Kordilliera Blanca, landschaftlich sicherlich ein durchaus ebenbürtiges Ausweichziel. Doch zuerst erkundige ich mich in Puno nach möglichen Unruhen und anderen Problemen auf dem Weg nach Bolivien. Hier ist nichts dergleichen bekannt. Unruhen enden in Südamerika oft genauso schnell wie sie beginnen, manchmal braucht es nur etwas Geduld. Um sicher zu gehen schreibe ich eine E-Mail an das Auswärtige Amt in Bolivien und erkundige mich nach der aktuellen Sicherheitssituation. Wenn das Land erst einmal in Aufruhr war weiß man ja nie was als nächstes folgt. Auch hier gibt es keinerlei ungewöhnliche Sicherheitsbedenken hinsichtlich eines Aufenthaltes in Bolivien, auch die Einreise sei momentan absolut problemlos. Also chartere ich den nächsten Bus in Richtung La Paz, meiner Traumstadt. Ein Zwischenstopp in Copacabana ist eingeplant, auch sicherlich einen Besuch wert.
Am nächsten Morgen geht es los, doch schon nach einigen Kilometern gibt es wirklich die ersten Probleme, allerdings befinden wir uns noch in Peru. Bolivien mag ja ruhig sein, wenn aber die einzige wirkliche Verbindungsstrasse aus meiner Richtung blockiert ist, hilft mir das nicht weiter. Kurz vor dem Ort Juli ist die Strasse mit Steinblöcken und brennenden Gummireifen blockiert. Ein nicht unerheblicher Indigenaauflauf komplettiert das Bild. Eine Demonstration also, gern wüsste ich worum es genau geht, aber unser Begleiter von der Busgesellschaft hat ebenfalls keine Ahnung, logisch eigentlich, sonst wären wir vermutlich gar nicht erst losgefahren. Im Nu ist unser Bus von demonstrierenden Peruanern umringt, es kommt aber zu keinerlei gewaltsamen Handlungen. Ich nehme Blickkontakt nach draußen auf und blicke in zwar entschlossene, aber keinesfalls feindselige Gesichter, also öffne ich mein Seitenfenster. Sofort werde ich, ohne wie eigentlich geplant selbst etwas fragen zu können, mit Fragen bombardiert: „ De donde eres“? (Woher kommst du?) „Alemania“ ist meine Antwort. Dann geht es weiter mit Fragen wo ich hin will und warum, ob der ganze Bus mit Deutschen besetzt ist usw. Freundlich und geduldig gebe ich antworten und irgendwann fragt mich jemand ob wir passieren möchten, was ich bejahe. Kein Problem meinen sie, gegen Deutsche hätten sie nichts, alles wäre in Ordnung und wir könnten ruhig passieren. Leider haben die Verantwortlichen vorne im Bus andere Auffassungen. Ohne wirklich mit den Demonstrierenden gesprochen zu haben heisst es: „Wir können nicht weiter, das ist der einzige Weg und es ist geplant umzukehren und es morgen erneut zu versuchen“. Wieder sehe ich die Chancen mein Traumland zu erreichen schwinden. Hier sieht man, das die Solidarität der etwas besser gestellten Peruaner mit den Indigena nicht vorhanden ist, ja sie noch nicht einmal als Verhandlungspartner ernst genommen werden. Jede soziale Schicht schaut nur auf den eigenen Vorteil und unterstützt auch nur Aktionen, welche diesem dienen könnten, Europa lässt grüßen.
Wir bleiben erst einmal eine Weile mit dem Bus stehen wo wir sind, das Interesse der Demonstrierenden an uns erlischt schnell, hoffentlich entscheiden die Herrschaften sich doch noch weiter zu fahren. Nach einer mehrstündigen Ess- und Urinierpause ist die Einsicht dann endlich gekommen und es soll wie geplant weitergehen in Richtung Copacabana. Bleiben noch die Steinbrocken und die mittlerweile ausgebrannten Reifen auf der Strasse, eher ein geringfügiges Problem, schnell hat ein Teil der Insassen einschließlich mir diese Hindernisse beseitigt und weiter geht’s.
Die Demonstration richtete sich übrigens, wie die Indigena mir erzählten gegen die eigene Regierung mit Präsident Toledo. Dieser ist ursprünglich selbst ein Indigena, somit waren mit seiner Machtübernahme grosse Hoffnungen bei der ländlichen Bevölkerung verbunden. Beim ersten Versuch an das Präsidentenamt zu gelangen war Toledo noch durch Wahlbetrug an Fujimori gescheitert, welcher aber später durch massiven Druck aus dem Ausland zum Rücktritt gezwungen wurde und nach Japan geflüchtet ist. So reagieren die vereinten Nationen also bei kleinen Ländern, auf manipulierte Wahlen, da kann Herr Bush froh sein, das die USA nicht zu diesen zählen und dortiger Wahlbetrug von anderen Staatsoberhäuptern nicht zur Kenntnis genommen wird.
Toledo galt also ursprünglich als Mann des Volkes, hat sich aber seit seiner Machtübernahme mehr und mehr vom Volk entfernt und die Situation der Bauern nicht verbessert, sondern eher seine eigene. Macht kehrt also oft das Arschloch im Menschen hervor und so hat sich Toledo den massiven Unmut, nicht nur der ländlichen Bevölkerung zugezogen, auch viele Studenten in Peru sind sehr unzufrieden mit seiner Regierung.
Was nun folgt ist der vielleicht schönste Teil dieser Fahrt, kilometerweit geht es direkt am Seeufer entlang, etwas erhöht und somit mit herrlichen Ausblicken auf den in tiefstem Blau glänzenden See. Warlich einer der schönsten großen Seen der Erde. Einen kleiner Seitenarm dieses Sees versperrt uns nun die Weiterfahrt, was ein weiteres Highlight dieser Tour zufolge hat, nämlich eine kurze Bootsfahrt auf dem sonnenüberzogenen See.
Auch die Grenzüberquerung verläuft ohne Probleme. Alle Insassen müssen Aussteigen und einzeln an der Grenzstation ihre Pässe stempeln lassen. Bei keinem gibt es Probleme oder Verzögerungen, auch der Geldwechsel von Soles in Bolivianos kann vor Ort durchgeführt werden.
Weit ist es nun nicht mehr bis Copacabana, Bolivien liegt vor mir, allein die Aussprache dieses Landesnamens löst eine Gänsehaut bei mir aus. Und wirklich sind die ersten Eindrücke überwältigend, zu den ja schon bekannten Seeblicken baut sich jetzt am Horizont die Cordilliera Real auf, eine der schönsten Gebirgsregionen der Welt. Mittendrin erblicke ich einen meiner absoluten Traumberge, die Königin der Anden. Als solche wird der Huayna Potosi bezeichnet, einer der schönsten Andenberge überhaupt. Ihm möchte ich unbedingt aufs eisüberzogene Haupt steigen.
Zuerst gibt es aber etwas Aufenthalt in Copacabana, vor allem zum Essen und Einkaufen gedacht.
Copacabana liegt auf 3818 Metern Höhe direkt am Ufer des Titicacasees und blickt auf eine 3000 Jahre alte Geschichte zurück. Früher war es ein bedeutendes Zeremonial-und Kulturzentrum, heute gilt die 20.000 Einwohnerstadt als der Wallfahrtsort schlechthin in ganz Bolivien. Der Name stammt von Kota Kahuana (Seeblick) und war schon vor der „Ankunft“ der Inka eine Kultstätte der Colla und Aymara.
Vor allem 3 bedeutende religiöse Feste werden hier alljährlich gefeiert, tausende Pilger und Gläubige finden sich dann am Seeufer ein. Am 5.und 6. August findet die Fiesta de la Virgen de Copacabana statt, dazu kommen die Fiesta Virgen de Candelaria und die Semana Santa. Auch die berühmte schwarze Madonna des Indigena Künstlers Francisco Yupanqui ist hier zu finden, und zwar im ersten Stock der Kathedrale hinter dem Hauptaltar. Das ist aber zu viel Katholizismus für mich. Somit nutze ich die Zeit vor allem um mir die Hafenregion anzuschauen, für eine kleine Bergtour reicht die Zeit leider nicht, vielleicht auf dem Rückweg. Nach zwei/drei Stunden gilt es nun den Bus zu wechseln, mein Gepäck ist sicher angekommen und wird von mir persönlich überwacht in mein neues Gefährt umgeladen. La Paz erwartet mich, loco, verrückt soll die Stadt sein, ich frage mich ob die Wirklichkeit die imposanten Fotoseiten, welche ich von der Stadt sah noch toppen kann. Sie kann!